Donnerstag, 28. August 2008

Das Ende der Reise – Zurück nach Deutschland

Es ist Dienstag, der 4. September 2007.

An meinem letzten Tag in Santiago, auf dem Jakobsweg und in Spanien stehe ich relativ früh auf, obwohl mein Flugzeug erst am Nachmittag ab Santiago fliegt. Da ich erst gegen Mittag das Zimmer verlassen muss, nutze ich den Vormittag noch, um das Pilgermuseum in Santiago zu besichtigen. In ihm ist die Geschichte des Jakobsweges von seinen Anfängen bis zur heutigen Zeit dokumentiert und somit erfahre ich noch interessante Details. Bei meinem letzten Spaziergang durch die Innenstadt zurück zum Hotel werde ich dann wieder wehmütig und es macht mich nun doch traurig, dass ich diese schöne Stadt wieder verlassen muss. Aber vorher werde ich mich gebührlich verabschieden. Ich hole also meinen Rucksack im Hotel, checke aus und laufe nur wenige Meter weiter bis zur Kathedrale, in der ich noch vor meiner Abreise ein letztes Mal die Pilgermesse miterleben möchte. Hierbei zeigt sich ganz besonders, dass sich Santiago verändert hat, denn die Pilgermesse hat nun einen ganz anderen Charakter. Sie ist weniger stark besucht und es fehlen einige mir vertraute Elemente. So wird auch der Botafumeiro nicht mehr geschwenkt. Durch die Messe führt eine Ordensschwester, die vor dem Gottesdienst mit allen Anwesenden die kurzen Chorgesänge einübt. Das macht sie so liebevoll und engagiert, dass auch dieses mir neue Element der Messe sehr sympathisch wirkt. Das Singen funktioniert später dann auch recht gut und gibt dem Gottesdienst eine ganz andere, aber deswegen nicht weniger feierliche Note. Gleich nach dem Ende der Messe nehme ich wieder meinen Rucksack und begebe mich zum Busbahnhof von Santiago. Nach kurzer Wartezeit steige ich in den Flughafen-Shuttle ein und verlasse damit nun endgültig Santiago. Am Flughafen herrscht die übliche Betriebsamkeit und nun scheint schon so vieles von dem kürzlich Erlebten in die Ferne zu rücken. Als ich dann den Flieger besteige und wir vom Boden abheben, berührt es mich schon sehr. Der Jakobsweg liegt nun hinter mir und so seltsam es klingen mag, aber ich spüre nun plötzlich ähnliche Ängste und Unsicherheiten, was meinen künftigen Alltag betrifft, wie ich sie hatte, als ich nach Spanien aufgebrochen bin. Sollte ich mich so sehr an diese Lebenssituation gewöhnt haben?! Ich habe in den vergangenen Tagen viel zurückgeblickt, viel darüber nachgedacht, was geschehen ist und wie es mein Leben beeinflussen kann. Eine grundlegende Erkenntnis bleibt mir ganz fest im Gedächtnis: der Jakobsweg ist eine Metapher auf das wahre, richtige Leben. Man beginnt an einem Punkt, läuft teilweise allein, teilweise mit anderen zusammen, man trifft neue Menschen und Situationen, man trennt sich von Menschen wieder und strebt auf ein Ziel hin. Unterwegs gibt es Hindernisse aber auch Menschen und Dinge, die einem das Fortkommen leichter machen und wenn man am Ende glücklich und zufrieden ins Ziel einlaufen kann, darf man wohl in Dankbarkeit auf das Erreichte zurückblicken. Das tue auch ich nun, ich blicke zurück in Dankbarkeit auf einen erfolgreichen Jakobsweg und fühle mich gestärkt und gerüstet für den weiteren Pilgerweg durchs Leben.

Mittwoch, 27. August 2008

Zurück nach Santiago de Compostela

Es ist Montag, der 3. September 2007.

Morgens nehme ich noch schnell mein Frühstück ein, packe den Rest meiner Sachen und begebe mich dann zur Bushaltestelle von Finisterre. Der Abschied von meinem kleinen Palast hier fällt mir schon schwer. Noch schwerer aber fällt es mir, Finisterre zu verlassen. Nachdem wir alle unser Gepäck verstaut haben und im Bus sitzen, fühle ich mich doch etwas komisch. In den beiden Tagen ist mir dieser Ort so vertraut geworden, dass ich ungern abreise, auch wenn es wieder zurück in das schöne Santiago geht. Als der Bus den Ort dann verlässt, muss ich auch mit ein paar Tränen kämpfen, denn nun beginnt für mich wirklich die Phase der Rückreise.
Circa drei Stunden fahren wir entlang der Costa da Morte durch die Landschaft und das Gefühl, nun in der Gewalt eines Busses zu sein und mein Vorankommen vom Geschick eines Busfahrers abhängig zu machen, ist ungewohnt und sogar ein wenig beklemmend. Auf meine Füße konnte ich mich in den vergangenen Wochen nahezu immer verlassen und wenn es mal nicht mehr ging, wusste ich es gut einzuschätzen. Nun aber sitze ich wieder in einem Bus und bin allem mehr oder weniger hilflos ausgeliefert. Die Busreise selbst ist aber nicht unangenehm oder unsicher und je länger ich mitfahre, desto schneller gewöhne ich mich auch wieder daran.
Gegen Mittag erreichen wir den Busbahnhof von Santiago de Compostela. Wieder trage ich meinen Rucksack und marschiere in Richtung Innenstadt. Die Szene erinnert stark daran, wie ich vor einigen Tagen hier zum ersten Mal einzog. Als ich zum großen Platz vor der Kathedrale komme, merke ich aber schon, dass sich Santiago innerhalb der wenigen Tage meiner Abwesenheit stark verändert hat. Zwar ist das Wetter noch immer wunderschön und auch die Gebäude stehen noch am selben Ort, aber die Menschen sind auf einmal andere. Plötzlich sehe ich viele Touristengruppen herumziehen und nur wenige Pilger. Damit hat die Stadt ein wenig an Flair verloren, finde ich und ich glaube nicht, dass meine Wahrnehmung nur darauf zurückzuführen ist, dass alle meine Bekannten und Freunde des Pilgerweges nun nicht mehr da sind, sondern wieder zu Hause.



Mir wird damit aber auch auf eine leicht schmerzhafte Weise bewusst, dass ich nun auch nicht mehr wirklich hier hin gehöre, sondern dass mein Platz wieder zu Hause bei meiner Familie, meinen Freunden und Kollegen und bei meiner Arbeit ist.
Die Übernachtung kann ich wieder günstig regeln. Ich schlafe in einer Pension unterhalb des Fünf-Sterne-Hotels Parador Nacional, nur eine Minute von der Kathedrale entfernt. Am späten Nachmittag hole ich bei der Post mein Paket mit den Sachen ab, die ich in Burgos postlagernd aufgegeben hatte, kaufe noch ein paar Souvenirs ein und regele im Internetcafé meine Rückreise. Am Abend dann besuche ich die Messe in der Kathedrale, die zwar keine Pilgermesse ist, mir aber trotzdem sehr gefällt und auch wieder einen Ruhepunkt im nun beginnenden Rückreisetrubel darstellt. Nach der Messe treffe ich auf der Straße dann doch wieder ein bekanntes Gesicht: Edgar der Schweizer ist von seiner Wanderung nach Muxía auch wieder nach Santiago zurückgekehrt und nun beschließen wir, gemeinsam noch zu Abend zu essen. Bei dem sehr stilvollen Menu del dia können auch wir noch einmal einige Stationen des Weges besprechen und ein gutes, tiefgründiges Gespräch führen. Ich freue mich sehr, dass ich so den letzten Abend in Santiago noch mit einem netten Mitpilger verbringen kann und nicht ganz allein bin. Morgen am Nachmittag gilt es dann, endgültig Abschied zu nehmen.

Dienstag, 26. August 2008

Bis ans Ende der Welt 5: Finisterre

Es ist Sonntag, der 2. September 2007.

Heute morgen schlafe ich richtig aus und frühstücke reichlich und in aller Ruhe. Danach gehe ich noch einmal zum Hafen und bummele durch die ruhige Innenstadt. Da meine Füße nun aber trotzdem eine Herausforderung suchen, trete ich noch einmal den Weg zum Kap an, diesmal jedoch nähere ich mich ihm über den Monte Guillermo. Dieser Berg, der die Inselzunge dominiert erhebt sich über dem Kap und bietet genau die richtige Antwort auf das Bedürfnis, meinen Füßen wieder etwas Arbeit zu verschaffen. Beim Aufstieg geht es dann auch recht steil bergan aber der Weg ist wunderschön still und das Wetter ist prima. Als ich mich der Bergspitze nähere, stoße ich zunächst auf eine Art Wetterstation und dann auf mehrere große Monolithen, die hier oben gelangweilt herumliegen. Da es hier oben menschenleer ist, komme ich mir ein wenig vor, wie in der Steinzeit. Dann gehe ich bis zum höchsten Punkt, besteige einige dieser Felsen, die sich in der Heidelandschaft hier oben hervorheben und genieße den wundervollen Ausblick auf den weiten Ozean und das entfernt liegende Kap von Finisterre mit dem Leuchtturm. Die Menschen dort unten wirken wie winzige Puppen, obwohl ich mich nur ca. 240m über dem Meeresspiegel befinde. Es ist ein beeindruckender Ort und so lasse ich mir eine Weile den Wind ins Gesicht blasen und nutze die Gelegenheit wieder zum Nachdenken.



Hinter mir liegen nun knapp 900 km Wegstrecke und knapp sechs Wochen Zeit. Am Anfang dieser Reise standen einige Ängste und Unsicherheiten, auf dem Weg gab es physische und psychische Herausforderungen verschiedenster Art. Das ich all das gemeistert habe, mich den Ängsten und Unsicherheiten gestellt habe, nicht aufgegeben habe, meine Grenzen erkannt und zum Teil auch akzeptiert habe ist ein großer Gewinn. Man sagt im Zusammenhang mit dem Jakobsweg oft, der Weg sei das Ziel. Ich finde diese Aussage ist richtig, wenngleich das Ziel Santiago eine wunderbare Belohnung ist. Letztlich aber müssen alle Pilger wieder abreisen und dann können wir all die Erfahrungen und Erinnerungen, die Erkenntnisse und Gewissheiten als ein mobiles Ziel mitnehmen und vielleicht auch einigermaßen dauerhaft in unserem Leben verankern. Ich persönlich wünsche mir, dass dieser Jakobsweg und der Segen, den ich durch ihn empfangen habe, ein dauerhafter Bestandteil meiner Persönlichkeit und meines Lebens bleiben. Hier oben, auf dem Berg über dem Ende der Welt ist dieser Wunsch ganz präsent.



Nach einer Weile trete ich den Abstieg in Richtung Leuchtturm an und begebe mich wieder zurück in die Stadt. Dem Bedürfnis meiner Füße ist genüge getan und nach einer kleinen Mittagspause gönne ich mir nun Entspannung am Strand.
Der Abend klingt langsam aus und dann gilt es die Sachen zu packen, denn morgen früh werde ich das erste Mal seit sechs Wochen wieder einen fahrbaren Untersatz, also den Bus zurück nach Santiago besteigen.

Montag, 25. August 2008

Bis ans Ende der Welt 4: Von Corcubión nach Finisterre

Es ist Samstag, der 1. September 2007.

Obwohl die Herberge hier schön ist und nur wenige Leute da sind, habe ich wieder eine unruhige Nacht. Die Beine und Füße schmerzen immer noch, vor allem wenn ich liege und leider ratzen die beiden Portugiesen neben mir ziemlich laut. Das aber stört mich nun, am Ende meiner Reise, nicht mehr so sehr. Vielleicht bin ich durch die verschiedenen Erfahrungen auf diesem Gebiet nun mittlerweile abgehärtet, vielleicht ist es aber auch die Aussicht, dass wenigstens dieser negative Aspekt des Jakobswegs bald ein Ende haben wird.
Gegen 8 Uhr breche ich auf, während alle anderen Pilger in der Herberge noch schlafen. Es ist Wochenende und damit sind auch die Straßen noch sehr still und unbefahren. Entlang dieser setze ich nun meinen Weg nach Finisterre fort. Es geht weiter durch die bewachsenen Hügel der Küste, immer nur soweit vom Meer entfernt, dass man es auch dann noch spürt, wenn man es nicht mehr sehen kann. Das Wetter ist wieder sehr schön und der Weg ist leicht.
Kurz nachdem ich dann doch noch einmal wieder etwas weiter ins Landesinnere geleitet werde, kehre ich zur Küste zurück und mir eröffnet sich mit einem Mal ein grandioser Blick auf die Bucht von Langosteira, Finisterre und das Kap mit dem Leuchtturm. Mein Herz hüpft vor Freude und wäre ich ein Maler, würde ich wahrscheinlich gleich hier meine Staffelei aufbauen und zu malen beginnen. Doch ich bin Wanderer und gehe nun weiter. In einem recht steilen Abhang fällt das Land ins Meer und mitunter zeigen sich unten kleine idyllische Buchten.


Bald erreiche ich den Strand und die Strandpromenade von Langosteira. Nun geht es ein gutes Stück unmittelbar am Strand entlang. Links von mir säuselt das Meer verschlafene Wellen an den hellen Sandstrand und rechts von mir sind gemütliche kleine Ferienhäuschen aufgereiht. Einige Jogger kommen mir entgegen und viele grüßen freundlich.
Nachdem ich den Strand verlassen habe, laufe ich noch ein kurzes Stück entlang der Straße und erreiche nun die Stadt Finisterre. So langsam wacht man hier auf und ich versuche zunächst die Herberge zu finden, um mich um eine Unterkunft zu kümmern. Dabei treffe ich auf Edgar, den Schweizer. Er lädt mich auf einen Kaffee ein und wir unterhalten uns ein wenig. Er sagt mir, dass es hier günstige Privatunterkünfte gebe und erklärt mir auch, wo sein kleines Hotel ist. Morgen will er nach Muxía weiterlaufen. Ich hatte zwar ursprünglich auch diesen Plan gehabt, aber nachdem ich nun am Meer bin und das Ende der Welt geradezu vor der Tür liegt, beschließe ich, mir hier zwei schöne entspannte Tage zu machen, Strand und Meer zu genießen und meine Wanderschaft endgültig hier zu beenden.
Als wir fertig sind, laufe ich wieder durch die Innenstadt auf der Suche nach Edgars Hotel. Da werde ich auf einmal von einer älteren Dame aus ihrer Wohnung auf Spanisch angesprochen. Zunächst verstehe ich nicht ganz, was sie will. Sie bittet mich herein, erzählt und erzählt und mir wird irgendwann klar, dass sie mir eine günstige und schöne private Unterkunft anbieten will für nur 12 Euro pro Nacht. Nun, ich bin interessiert und sie telefoniert kurz. Danach warten wir und es ist erstaunlich, wie gut man sich mit nur wenigen spanischen Worten unterhalten kann. Dann erscheint eine jüngere Frau, die offenbar die Tochter oder Schwiegertochter der Dame ist. Sie führt mich durch Finisterre und ich fühle mich ein wenig an Santiago erinnert, als mich die ältere Frau ebenfalls durch Straßen und Gassen führte um mir ihre Zimmer zu zeigen. Endlich erreichen wir ihr Haus, eine prächtige Villa etwas außerhalb des Stadtrandes. Sie führt mich in die untere Etage, zeigt mir eine ganz neue und modern ausgestattete Küche mit Mikrowelle, Toaster, Waschmaschine, Herd und TV-Ecke, zeigt mir dann ein wunderschön gefliesstes Bad mit Toilette und Badewanne und geleitete mich dann in ein geräumiges Dreibettzimmer. Zunächst verstehe ich nicht so recht, was das soll. Ich vermute, ich müsste nun mit zwei anderen Leuten in dem Zimmer schlafen, aber sie bestätigt nochmals, dass ich dieses Zimmer für 12 Euro die Nacht haben könne und da die gesamte Etage noch unbewohnt sei und wohl auch bleibe, stünde mir alles frei zur Verfügung. Ich kann mein Glück gar nicht fassen, zahle ihr aber bereitwillig die 24 Euro für zwei Nächte und bleibe nun in diesem wahrlich tollen Palast. Es ist die Krönung einer langen Reise und in dieser glücklichen Fügung sehe ich eine weitere Bestätigung dafür, meine Reise hier in Finisterre zu beeenden.



Am Nachmittag gehe ich ein wenig einkaufen und schaue mir Finisterre an. Es ist eine ganz gesellige kleine Fischerstadt, die trotz ihrer prominenten Position am Ende des Jakobsweges überhaupt nicht aufdringlich oder quirlig aber eben auch nicht langweilig und öde wirkt. Ich fühle mich schnell sehr wohl hier. Auch die hiesige Herberge suche ich auf, denn nach der Urkunde aus Santiago, kann man sich hier auch eine Urkunde – die Fisterrana – ausstellen lassen, die bestätigt, dass man bis zum Ende der Welt gelaufen ist. Diese Ehrung hole ich mir dann doch gerne ab.
Während ich dann am Strand entlangspaziere genieße ich es einerseits, einmal nur in Badehose und Schlappen zu laufen und keinen 11 Kilo schweren Rucksack auf dem Rücken zu tragen. Andererseits aber kommen mir nun auch Gedanken an den Jakobsweg und an die Zeit, die nun wieder anbricht. Ich überlege mir, wie lange ich wohl von diesen Erfahrungen zehren werde, wie lange sie in meinem Alltag präsent sein werden, wie sich mein Leben positiv durch diesen Jakobsweg verändern kann. Ich habe mich nun nach sechs Wochen so an diese Lebenssituation gewöhnt, dass es mir fast irreal erscheint, morgens ins Büro zu gehen, den ganzen Tag über Büchern zu sitzen und nicht durch die Landschaft zu streifen. Ich habe hier so viel über mich, über die Menschen und die Wahrnehmung der wichtigen Dinge des Lebens gelernt, dass ich fast schon Angst bekomme, diese Erkenntnis könnte mit Ende des Jakobsweges verblassen, wie ein altes Foto, das zu lange der Sonne ausgesetzt ist. Sicher werden viele Erinnerungen bleiben, aber was ist mit den praktischen Dingen, das Miteinander mit anderen Menschen, das gegenseitige Helfen und Hilfe annehmen und die Nähe zu den kleinen Wundern der Natur, die in ihrer Einfachheit so viel größer sind als manche technische Errungenschaft unserer Gesellschaft. Und was wird aus meiner Nähe zu Gott? Während ich also so am Strand laufe und darüber nachdenke, wird mir die Stelle der Bibel auf interessante Weise deutlich, in der es um das Sammeln von Schätzen im Himmel statt Schätzen auf Erden geht. Dieser Pilgerweg hält viele himmlische Schätze bereit und lässt uns so manchen irdischen Schatz vergessen. Diese Erkenntnis tröstet ein wenig über die Wehmut hinweg, die nun auch in mir aufkommt.
Nachdem ich mir zum Abend mein eigenes dreigängiges Pilgermenü gezaubert habe (und das Kochen in dieser Küche hat auch wieder richtigen Spaß gemacht), begebe ich mich auf den Weg zum endgültigen Schlusspunkt des Jakobsweges: zum Leuchtturm am Kap Finisterre. Bis dorthin läuft man entlang der Straße eine gute Stunde und auf dem Weg treffe ich sogar noch zwei Berlinerinnen, die ich einige Tage vorher kurz vor Santiago in einer Herberge getroffen hatte. Auch sie sind von Finisterre ganz begeistert und wollen nun, ebenso wie ich, auch den Sonnenuntergang am Ende der Welt erleben.
Als wir den Leuchtturm erreichen sind bereits viele Leute da und nun kommt doch eher ein touristisches Gefühl auf. Wir erreichen den Kilometerstein mit der gelben Jakobsmuschel darauf und das Bild ist erleichternd und gewöhnungsbedürftig zugleich, denn es sagt uns nun 0,0 km voraus. Das Ende des Pilgerweges ist erreicht, von hier aus geht es nicht mehr weiter. Was bleibt, ist nur der wunderbare Blick auf den endlosen Ozean, der in der Abendsonne schimmert. Die Küste fällt steil hinab ins Meer und ich fühle mich ob dieses majestätischen Anblickes ganz winzig. Das Ende der Welt! Während ich mich hinsetze und der Sonne zuschaue, wie sie am Horizont versinkt denke ich wieder einmal zurück. Dieser Jakobsweg war in der Tat ein großer Segen und auch wenn der Gedanke, ihn tatsächlich zu beschreiten erst in einem langen Prozess realisiert wurde, so weiß ich, dass dies eine der wichtigsten Entscheidungen meines Lebens und die wahrscheinlich schönste Erfahrung meines bisherigen Lebens war. Zwar ist dieser Weg nun hier zu Ende, aber ich weiß auch, dass mit jedem Ende ein neuer Anfang verbunden ist.


Die Sonne senkt sich nun langsam in einem kleinen goldenen Wolkenschleier über dem Meer und taucht bald in die Tiefen des Ozeans ein. Alle Menschen hier scheint dieser Moment zu bewegen und auch mich. Es ist ein ganz besonderer Ort, dieses Ende der Welt.


Im Licht des Leuchtturmes wandere ich schließlich bei einbrechender Dunkelheit wieder zurück in die Stadt und gehe zufrieden und dankbar zu Bett.

Sonntag, 24. August 2008

Bis ans Ende der Welt 3: Von Olveiroa nach Corcubión

Es ist Freitag, der 31. August 2007.

Die Nacht in der an sich recht schönen Herberge von Olveiroa ist etwas unruhig. Immer wieder ist mir ziemlich heiß, dann habe ich ständig Durst und seltsame Schmerzen stecken mir in den Beinen und in den Füßen. Wahrscheinlich liegt dies an der ungewohnten 32 km Tagesetappe von gestern. Dennoch finde ich genügend Schlaf und wache sogar erst um 7 Uhr morgens auf, als die meisten der Mitpilger schon packen und andere schon auf dem Weg sind. Was für ein befreiendes Gefühl es jetzt schon ist, dass dieser Herbergszwang nun ein Ende hat. So packe ich gemütlich meinen Rucksack und gehe gegen 8 Uhr erst einmal zu einer nahegelegenen Pension im Ort um mich mit einem leckeren Schokoladenneapolitano und einem Milchkaffee zu stärken. Dann kann es losgehen.

Hinter Olveiroa läuft man erst einen Hang hinauf und dann auf dem Kamm des Hügels, von wo aus man herrlich auf den Fervenza-Stausee zurückblicken kann. Der Weg ist allerdings steinig und man muss wieder aufpassen, nicht zu stürzen. Die Sonne scheint, ein wolkenloser blauer Himmel breitet sich über mir aus und nur das Summen der Windräder auf dem Gebirgskamm begleitet mich. Es ist eine wunderschöne Idylle und so macht das Wandern auch wieder Spaß.
Man sagt, dass Wasser wirke anziehend und auch das spüre ich bei der heutigen Etappe. In mir wächst der Drang, den Ozean zu erreichen; endlich nach all den verschiedenen Facetten der Landschaft auf dem Jakobsweg dieses mysteriöse Blau des Meeres auch zu sehen. Das beschwingt meinen Gang und der relativ starke Wind, der mir um die Ohren bläst, ist schon ein deutliches Zeichen dafür, dass es nicht mehr weit ist.



Nach einer Weile erreiche ich den Punkt des Weges, an dem sich der Weg nach Finisterre und der Weg nach Muxía trennen. Wenn man sich an den Kilometersteinen orientiert, kann man nicht den falschen Weg gehen und so setze ich meine Wanderung nach Finisterre fort. Von nun an geht es durch eine wunderschön weite Heidelandschaft mit vielen bunten Wiesenblumen und kleinwüchsigen Nadelbäumen. In der Ferne lässt sich das Meer schon als graue Masse ausmachen, wenngleich es noch nicht so eindeutig vom Himmel zu trennen ist. Aber die Küstenlinie zeichnet sich immer deutlicher ab. Immer wieder bleibe ich kurz stehen und schaue sehnsüchtig nach Westen, in Richtung des Endes der Welt.



Je näher ich der Küste komme, desto stärker wird der Wind. Nachdem ich einige alte Einsiedeleien, die sich auch hier noch finden, passiert habe und weiter durch die Heide laufe, kann ich nun noch weit entfernt klar das Meer ausmachen und ich überlege mir, wie es wohl den mittelalterlichen Pilgern gegangen ist, als sie hier zum ersten Mal auf das Meer gesehen haben. Vielleicht fühlten sie sich ähnlich erleichtert wie ich, vielleicht hatten sie auch Angst vor diesem endlosen und unberechenbaren Wasser. Mich jedenfalls zieht der Ozean in seinen Bann und ich freue mich auf die frische Seeluft, den Strand und die abwechslungsreiche Steilküste.
Wenig später erreiche ich das Cruceiro da Armada (links), ein Wegkreuz an einem steilen Hang. Hier muss man sich wirklich gut festhalten, dass einen der starke Wind nicht wegpustet, aber dafür hat man von hier aus nun einen überwältigenden Blick auf die Küste, die Bucht von Corcubion und die Städte Cée und Corcubión unterhalb. Danach geht es steil bergab und ich erreiche das Meeresniveau in der kleinen Stadt Cée, die sich nahtlos an Corcubión anschmiegt. Beide Ortschaften schlingen sich um das Meer in der Bucht. Zwar ist es nun aufgrund des Verkehrs wieder etwas hektischer, aber die Stadt ist auch ganz angenehm.



In Corcubión genehmige ich mir im Hafen ein leckeres Mittagessen und lasse mir dabei richtig Zeit. Die meisten meiner Mitpilger sind ohnehin schon auf dem Weg nach Finisterre und mein Ziel ist nur wenige Kilometer ausßerhalb von Corcubión in der hiesigen Herberge, die ohnehin erst 16 Uhr öffnet. Also lasse ich es mir schmecken und gehe dann noch ganz gemütlich durch die kleine Fischerstadt und kaufe noch ein paar Lebensmittel ein. Erst gegen 14 Uhr steige ich dann zum Alto de San Roque auf, einem kleinen Berg oberhalb der Stadt, auf dem sich die Herberge befindet. Als ich dort oben ankomme, ist die Unterkunft noch geschlossen, aber zwei spanische Pilger warten auch bereits in dem riesigen angrenzenden Garten. Ich geselle mich zu ihnen und wir unterhalten uns ein wenig. Da die beiden aus Madrid kommen, können wir uns auch ein wenig auf Englisch unterhalten, wo meine geringe Kenntnis des Spanischen komplett versagt. Die Wartezeit wird lang, vor allem, weil die Herberge schließlich doch erst 17 Uhr statt 16 Uhr öffnet, aber da das Wetter schön ist, ist das nicht schlimm. Dann werden wir von einem älteren spanischen Hospitalero und seiner schottischen Kollegin Judy hereingebeten. Judy ist sehr nett und es ist schön, wieder mit jemandem etwas länger Englisch reden zu können. Die Herberge ist sehr schön und sauber und außerdem lange Zeit mit nur sechs Gästen absolut nicht überbelegt. Am Abend kocht Judy uns allen ein schönes Abendessen und bei einem Gläschen Rotwein lassen wir den Abend ausklingen. Lediglich zwei portugiesische Radpilger stoßen noch zu uns. Die Herberge birgt aber noch ein weiteres Highlight, welches sich erst wirklich bei Nacht zeigt. Von hier aus hat man nämlich schon einen fantastischen Ausblick auf das Cabo Finisterre mit dem Leuchtturm an seiner Spitze. Dieser blinzelt uns bereits an, als wir zu Bett gehen. Ein traumhafter Anblick, das ultimative Ziel der Reise nun also schon so klar vor Augen zu haben. Das Ende der Welt kann so schön sein.

Samstag, 23. August 2008

Bis ans Ende der Welt 2: Von Negreira nach Olveiroa

Es ist Donnerstag, der 30. August 2007.

Schon gegen 6:45 Uhr verlasse ich die Herberge in aller Dunkelheit. Die meisten sind noch am einpacken, aber mich hat dieser blöde Wettlauf um Herbergsplätze gedanklich schon wieder so vereinnahmt, dass ich mich gar nicht entspannt hier zurücklehnen oder gemütlich laufen könnte. So begebe ich mich also auf den Weg, der mich zunächst durch einen kleinen Vorort von Negreira und dann durch die angrenzenden Wälder führt. Der Mond scheint sehr hell und somit kann ich den Weg sogar bestens ohne meine Taschenlampe erkennen. Obwohl ich nun ganz schön schnell laufe, macht mir das Wandern wieder Spaß. Vor allem bei Sonnenaufgang ist es sehr schön. Die Sonne taucht diese wunderschöne Gegend in ein angenehmes Licht und alles wirkt so friedlich und still. Natürlich treffe ich immer wieder auf andere Pilger und manche sind ganz nett, andere eher in sich gekehrt. Diese Etappe heute ist recht anstrengend, denn sie ist gute 32 km lang. Da ich an sich auch noch viel zu schnell laufe, bin ich bald erschöpft und zu mehreren Pausen gezwungen. Landschaftlich ist hier nahezu alles dabei. Mal geht es durch grüne Wälder, dann wieder über weite Felder und auch über Hügel von denen man eine schöne Aussicht auf die umliegenden Ebenen hat.



Als ich den höchsten Punkt der Region, den Monte Aro mit gut 560 m erreiche, verlaufe ich mich ein wenig. Der Jakobsweg nach Finisterre ist nicht immer gut ausgewiesen und manchmal kann es verwirrend sein, auf Pfeile gegensätzlicher Richtung zu treffen, wobei einer allerdings auf den Rückweg nach Santiago verweist. In der Tat treffe ich auch auf drei oder vier Pilger, die von Finisterre nach Santiago zurücklaufen und diese grüßen mich immer wieder sehr freundlich und ermutigen mich zum Weitergehen. Das baut mich auf, denn die Mittagshitze und die Aussicht auf eine weitere vollkommen überfüllte Herberge stimmen mich gerade nicht sehr fröhlich. Nach dem Berg durchquere ich den kleinen Ort Lago, von dem aus ein Bauer gerade seine Kuhherde auf die Weide treibt. Vor so vielen Kühen habe ich doch etwas Respekt und laufe nun ganz langsam hinter dem Tross her und bin dankbar, als er endlich abbiegt und den Weg frei macht. Die nun noch verbleibenden Kilometer bis Olveiroa sind furchtbar anstrengend. Dabei merke ich, dass mich die Pause in Santiago und die vorherigen kurzen Etappen schon wieder einiges an Ausdauer gekostet haben.



Ich bin erleichtert, als ich Olveiroa erreiche und dann doch schon der fünfte Pilger in der Wartereihe bin. Da die Herberge aber erst gegen 14 Uhr öffnet, bleibt noch lange Zeit. Tatsächlich sehe ich auch die meisten Gesichter von gestern wieder, unter anderem auch ein paar wirklich unangenehme Italiener, die sich unmöglich benehmen. Die Herberge hier ist allerdings sehr schön, ländlich gestaltet mit mehreren kleinen Häusern, wenngleich sie nur ein Badezimmer hat für 34 Besucher bei normaler Kapazität. Aber auch hier setzt sich fort, was gestern schon ersichtlich war. Die Herberge wird bis zum Abend richtig voll und wieder schlafen einige Pilger auf Matten. Ich treffe auch einige Deutsche wieder und Edgar den Schweizer. Nun, da ich aber diese Etappe hinter mich gebracht habe und aus vielen Gesprächen erfahren habe, dass die meisten morgen direkt bis Finisterre laufen werden, bin ich etwas beruhigt. Mein Zeitplan gestattet mir nämlich, noch einen weiteren Zwischenstop in Corcubion zu machen. Dort gibt es auch eine Herberge und damit wird der Weg nach Finisterre übermorgen umso kürzer. Außerdem überwiegt nun die Sehnsucht nach dem Wasser, dem blauen, endlosen Ozean und der Küstenlandschaft in mir und ich kann glücklicherweise die Belastungen der vergangenen beiden Tage wieder ablegen.